Niedergelassene können in verschiedene Situationen geraten, in denen eine Praxisbewertung erforderlich ist. Vorab sollte geklärt werden, ob ein vollständiges Praxiswertgutachten oder eine überschlägige Praxisbewertung notwendig ist. Aus dem jeweiligen Bewertungsanlass ergibt sich die Wichtigkeit über die Bedeutung und über die Verbindlichkeit des ermittelten Praxiswertes. Gründe für eine Praxisbewertung können sein:
Häugster Bewertungsgrund: Praxisabgabe
Vor der Praxisabgabe sollte der Praxiswert als Grundlage zur Verhandlung mit potenziellen Übernehmern ermittelt werden. Bereits hier spielt die Art der Praxisbewertung und Funktion des ermittelten Praxiswerts eine wichtige Rolle:
Für kleinere Hausarztpraxen kann eine überschlägige Praxiswertermittlung ausreichen, vor allem dann, wenn es an potenziellen Praxisübernehmern mangelt. Der Aufwand für ein vollständiges Praxiswertgutachten steht dann möglicherweise nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen. Gibt es vielleicht nur sehr wenige Interessenten, kann es passieren, dass der Kaufpreis unter den ermittelten Praxiswert gedrückt wird.
Praxiswert und Praxiskaufpreis müssen nicht zwangsläufig immer übereinstimmen. Besteht kaum oder keine Nachfrage, werden Praxen häufig unterpreisig an Nachfolger übertragen. Kosten und Nutzen einer vollständigen Wertermittlung ist demnach situationsbedingt zu hinterfragen und eine vollständige Ermittlung ist ggf. nicht erforderlich.
Bei Abgabe einer größeren Hausarztpraxis mit guter Praxislage kann die Beauftragung eines vollständigen Praxiswertgutachtens durch eine öffentlich bestellte und vereidigte sachverständige Person durchaus sinnvoll sein: Je höher die Ertragskraft der Praxis und je stärker die potenzielle Nachfrage von Übernahmeinteressenten, desto eher lohnt sich die Erstellung eines vollständigen Praxiswertgutachtens. Bei vielen konkurrierenden Interessenten ist auch ein Praxisveräußerungserlös oberhalb des Ertragswertes möglich. Hier überlagern Angebot und Nachfrage teilweise betriebswirtschaftliche und finanzmathematische Kalküle. Doch Vorsicht: Weichen der angemessene Praxiswert und die Kaufpreisvereinbarung zu stark voneinander ab, können in Planungsbereichen mit Niederlassungssperre im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens Veräußerungen durch den Zulassungsausschuss kritisch hinterfragt und ggf. verhindert werden.
Die Praxisbewertung und die Praxiswertermittlung
Das „Lebenswerk Praxis“ wird in der Regel durch eine qualifizierte sachverständige Person besichtigt und ndet nicht nur rein auf der Basis von Unterlagen statt. Eine fundierte Bewertung, die über eine grobe Schätzung hinausgeht, sollte nach der modizierten Ertragswertmethode erfolgen, die vom BGH in streitigen Verfahren als vorzugswürdig eingestuft wurde. Bei einer fundierten Praxisbewertung stehen sich der voraussichtlich zu erzielende Praxisgewinn und der dafür zu betreibende Arbeitsaufwand des Praxisinhabers gegenüber:
Der mögliche zukünftige Praxisgewinn wird aus dem vom bisherigen Praxisinhaber erzielten Praxisgewinnen hergeleitet. Hier werden die aktuellen Praxiszahlen „bereinigt“: außerordentliche Kosten – für kürzlich beauftragte Praxisrenovierungen – und nicht übertragbare Posten – Einnahmen aus nicht übertragbaren Gutachtertätigkeiten – sind zu streichen. Was unterm Strich übrig bleibt, bildet die Grundlage zur Ermittlung des Ertragswertes einer Praxis. Der Arbeitsaufwand des zukünftigen Praxisinhabers muss durch einen zur benötigten fachlichen Qualifikation und zum zeitlichen Arbeitsaufwand passenden „Inhaberlohn“ in die Ertragsprognose integriert werden. Denn eine Praxis mit einem Gewinn von z. B. 180.000 Euro pro Jahr bei einem persönlichen Arbeitsaufwand von durchschnittlich 40 Stunden pro Woche ist attraktiver als eine Praxis mit gleicher Ertragskraft, in der bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden muss.
Immaterieller und materieller Wert ergeben den Praxiswert
Immaterielle Faktoren: Die Qualität der Patientenbindung, der Mitbewerber oder auch die Nachfragesituation im Umfeld können bei Anwendung der modifizierten Ertragswertmethode vom fachkundigen Sachverständigen durch die Festlegung von Bewertungsfaktoren im Rahmen der Wertermittlung berücksichtigt werden. Materielle Faktoren: Parallel zum immateriellen Praxiswert wird der materielle Wert des Praxisinventars ermittelt. Bei regelmäßig erneuertem und gepflegtem Inventar muss man sich nicht zwangsläufig mit dem Buchwert des Anlagevermögens begnügen. Häufig liegt der Zeitwert/Verkehrswert des Praxisinventars signifikant oberhalb des steuerlichen Buchwertes.
Der Verkehrswert des Praxisinventars kann nicht aus den Marktpreisen für gebrauchte „Einzelpositionen“ (Medizintechnik oder Möbel) hergeleitet werden. Hier verursachen Transportkosten und Installationsaufwand zum Kaufpreis zusätzliche Kosten. Bei einer Veräußerung im Sinne einer Übernahme wird eine „gebrauchsfertige Praxis“ angeboten. Der sogenannte Fortführungswert eines Praxisinventars liegt daher oft deutlich oberhalb des Liquidationswertes und ist der Praxisbewertung bei der Praxisübergabe zugrunde zu legen.
Bewertung für das Finanzamt und im Streitfall
Muss der Praxiswert gegenüber dem Finanzamt nachgewiesen werden oder geht es um die außergerichtliche Schlichtung eines Streitfalls, ist die Erstellung eines Praxiswertgutachtens indes stets das Mittel der Wahl. In Fachkreisen allgemein anerkannt und höchstrichterlich bestätigt ist dabei aktuell nur die modifizierte Ertragswertmethode. Steuerliche Gründe für eine Praxisbewertung können etwa die Ermittlung der Erbschafts- oder Schenkungssteuer oder bei der Einbringung in eine MVZ-GmbH sein. In der Regel wird ein fach- und sachgerecht erstelltes Praxiswertgutachten einer öffentlich bestellten und vereidigten sachverständigen Person benötigt, damit das Finanzamt den ermittelten Praxiswert anerkennt und von eigenen Berechnungen absieht.
Die Beauftragung eines Praxiswertgutachtens macht sich in Fällen mit steuerlichem Hintergrund meist mehr als bezahlt, da die Berechnungen durch das Finanzamt oftmals zu überhöhten Praxiswerten und damit zu überhöhten Steuerbelastungen führen.
Gleiches gilt für alle Arten von Streitfällen: zur Ermittlung des Zugewinnausgleichs nach Ehescheidung oder auch zur Ermittlung der Abfindung eines im Streit ausscheidenden Praxispartners. Erfolgt im Streitfall keine gütliche Einigung, kann mit einem qualifizierten Praxiswertgutachten eine langwierige gerichtliche Klärung vermieden werden. Erkennen beide Parteien das Ergebnis des gemeinsam beauftragten Gutachtens vorab als verbindlich an, spricht man von einem Schiedsgutachten.
Lieber gleich richtig: Ein Schiedsgutachten sollte den an ein gerichtliches Gutachten gestellten und fachlichen Standard erfüllen. Demnach sollte auch hier auf die modifizierte Ertragswertmethode zurückgegriffen werden. Wird eine andere Bewertungsmethode zur Wertermittlung gewählt, kann eine Partei häufig berechtigte inhaltliche sowie rechtliche Bedenken gegen das Gutachten vorbringen. Somit wird der mit der Wertermittlung verfolgte Zweck – Schlichtung und Vermeidung eines Gerichtsverfahrens – verfehlt. „Günstig“ erhaltende Schätzwerte oder Praxiswertermittlungen auf Basis nicht gerichtlich anerkannter Methoden führen in Streitfällen zu mehr „nutzlosen“ Kosten und ggf. zum langjährigen Klärungsprozess.
Kurz und bündig:
Bewertungsmethoden zur Praxiswertermittlung