04.11.2023
Primum non nocere („erstens nicht schaden“) lautet der Grundsatz moralisch geforderten ärztlichen Handelns. Diese antike Weisheit beschreibt, dass die Unversehrtheit der Patienten durch die angewandten Therapiemethoden im Vordergrund steht. Adaptiv kann dieser Leitsatz in der Finanzberatung Anwendung finden.
Immer wieder können vermittelte Finanzprodukte den Anlegern mehr schaden, als dass sie ihnen nützen.
Florian Gramm, Dipl.-Betriebswirt (VWA) und Finanzanlagenfachmann (IHK) beschreibt die Missstände im Finanzsektor und klärt auf, auf was Mandanten achten sollten.
Finanzprodukte gibt es wie Sand am mehr. Wie behält man den Durchblick als Laie?
Gramm: Mit einem guten Berater. Diesen erkennt man häufig daran, dass er ein umfassendes Portfolio an Produkten kennt und auch im persönlichen Gespräch erklärt. Gute Berater nehmen sich Zeit für die Lebenslagen und die Zukunftsplanung ihrer Mandanten. Der „schnelle Abschluss“ kommt hier nicht zustande, vielmehr können Laien hier einen fundierten Finanzplan erwarten. Und dieser sollte gemeinsam und vor allem individuell erarbeitet werden.
Wie kann ich den guten Berater vom schlechten Berater unterscheiden?
Gramm: In erster Linie sollten Finanzberater unabhängig sein, d. h. auf Honorar- und nicht auf Provisionsbasis bezahlt werden. Honorarberater werden ausschließlich von ihren Auftraggebern, den Mandanten, bezahlt und erhalten keine Provisionen von Anbietern. Sie dürfen Produkte von Anbietern zwar vermitteln, aber ausschließlich in beratender und unterstützender Funktion. Provisionen von den beteiligten Unternehmen sind hier ausgeschlossen. Wohingegen der „Provisionsberater“ oftmals gezielt Finanzprodukte von bestimmten, meist großen, Gesellschaften empfiehlt. Diese Produkte sind häufig mit solch hohen Produktkosten verbunden, dass die entstehende Rendite dabei regelrecht aufgefressen wird. Der Missstand dabei: Die „versteckten“ Kosten stehen im „Kleingedruckten“, das meist den Umfang eines Handbuchs hat. Und dieser Teil wird mit den Mandanten nicht durchgesprochen und in den meisten Fällen nehmen sich Mandanten nicht die Zeit, diesen sorgfältig zu prüfen – dafür gibt es schließlich die Berater – oder erhalten erst gar nicht die Zeit zur Prüfung und werden zum Abschluss gedrängt.
Bevor unabhängige Honorarberater überhaupt in die Beratung oder Finanzplanung gehen und Produkte empfehlen, steht die Finanzanamnese auf dem Plan, als eine Bestandsaufnahme. Hierbei werden vor allem die Wünsche und Ziele der Mandanten mit Blick auf die Höhe der Anlagesumme, der Fristigkeit des Anlagehorizontes und der angestrebten Rendite im Verhältnis zur Risikomentalität der Mandanten herausgearbeitet. Ohne diese Grundlage ist jede weitere Handlung in Richtung Anlageempfehlung auf professioneller Basis praktisch unmöglich.
Was wird bei der Finanzanamnese außer den persönlichen Bedarfen noch ermittelt?
Gramm: Hier werden auch etwaige „Vorerkrankungen“ ergründet, wie in etwa unvorteilhafte Finanzprodukte, in die die Mandanten investiert haben. Mittels eines zertifizierten finanzmathematischen Gutachtens kann die Kostenstruktur und die effektive Rendite dieser Finanzanlagen ermittelt werden, damit die Mandanten Aufschluss darüber bekommen, in was sie da tatsächlich investieren. Häufig landen Abschlüsse bei uns, bei denen Mandanten – vor allem Ärzte, da sie für den Finanzsektor natürlich eine der attraktivsten Zielgruppen ist – in zu teure und wenig rentable Finanzanlagen investiert haben.
Was raten Sie zukünftigen Investoren?
Gramm: Hinterfragen Sie, ob Sie wirklich wissen, in was Sie investieren und ob es im Kontext mit Ihren Vorstellungen und Zielen vorteilhaft und stimmig ist. Fragen Sie sich weiter, ob Sie die Kosten kennen, die mit Ihrer Anlage verbunden sind und Sie als Anleger zahlen, was Ihr Berater daran verdient und ob sie oder er in Ihrem Interesse handelt.
Wenn Sie das alles mit gutem Gewissen bejahen können und sich wirklich auskennen, dann ist das perfekt. Falls nicht, holen Sie sich eine unabhängige Meinung z. B. von einem Honorarberater ein.
Auch wenn bei der Honorarberatung die Honorarsumme auf den ersten Blick recht hoch wirkt, langfristig ist das für Mandanten deutlich günstiger und es gibt keinen Interessenskonflikt innerhalb des Beratungsprozesses. Der Berater konzentriert sich hier tatsächlich auf die Beratung und nicht auf die Provision. Wenngleich ein Provisionsverbot für den Finanzdienstleistungssektor in Deutschland bislang noch nicht erwirkt wurde, zeichnet es sich in Ländern wie den Niederlanden, Schweden oder auch Großbritannien ab, in denen bei Finanzen ausschließlich auf Honorarbasis beraten werden darf, dass das Modell der Provisionsberatung ausgedient hat und sich Transparenz, Ehrlichkeit und Fairness auf lange Sicht durchsetzen.
Im Interview:
Florian Gramm
Dipl.-Betriebswirt (VWA), Finanzanlagenfachmann (IHK)
Geschäftsführender Gesellschafter primusfinance | www.primusfinance.de