29.04.2024
Honorarärzte sind Ärzte, die in medizinischen Einrichtungen selbstständig und freiberuflich, meist zeitlich befristet, auf Honorarbasis tätig sind. Insbesondere im Bereich der Notfallmedizin sowie im Not-und Bereitschaftsdienst ist dieses Beschäftigungsmodell weit verbreitet.
In den letzten Jahren lehnen die Sozialgerichte in immer mehr Bereichen die selbstständige Einordnung dieser Tätigkeiten onsequent ab und qualifizieren sie als abhängige Beschäftigungsverhältnisse.
Mit Urteil vom 24. Oktober 2023 (Az. B 12 R 9/21 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) nunmehr auch die Tätigkeit eines sogenannten Poolarztes als abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eingestuft und folgt damit seiner bisherigen Linie. In der Vergangenheit wurde unter anderem bereits die Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit von Honorarärzten in Krankenhäusern (BSG vom 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R), von Notärzten im Rettungsdienst (BSG vom 19.10.2021 - B 12 R 10/20 R, B 12 KR 29/19 R, B 12 R 9/20 R) und von Praxisvertretern in Arztpraxen (BSG vom 19.10.2021 - B 12 R1/21R) festgestellt. Im konkreten Verfahren ging es um einen Zahnarzt, der als Poolarzt für die KZVBW tätig war und zu verschiedenen Notdienstschichten eingeteilt wurde. Nach Auffassung des BSG war der Kläger in einer seine Tätigkeit nicht selbstständig tätig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Was dieses Urteil für die Praxis bedeutet, welche Konsequenzen und auch Haftungsrisiken es insbesondere für (vermeintliche) „Auftraggeber“ mit sich bringt, beantwortet unser Verbundpartner Dr. Thomas Rothammer im Interview.
Was bedeutet Scheinselbstständigkeit in diesem Zusammenhang?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn Erwerbstätige fälschlicherweise als Selbstständige behandelt werden, tatsächlich aber jedoch wie abhängig Beschäftigte arbeiten und sich auch in ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit nicht von diesen unterscheiden. Die Selbstständigkeit ist nur der äußere Anschein des Vertragsverhältnisses. Bei genauerer Betrachtung und rechtlicher Bewertung liegt jedoch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor und die falsche statusrechtliche Einordnung führt zu erheblichen Rechtsfolgen und Haftungsrisiken, insbesondere für vermeintliche Auftraggeber.
Was genau sind die Konsequenzen einer Scheinselbstständigkeit? Womit müssen Betroffene rechnen, wenn Honorarärzte rückwirkend als scheinselbstständig eingestuft werden?
Daraus ergeben sich erhebliche sozialversicherungsrechtliche, arbeitsrechtliche, steuerrechtliche und auch strafrechtliche Konsequenzen, insbesondere für Auftraggeber, die rückwirkend als Arbeitgeber eingestuft werden.
Die scheinselbstständige Person ist in der Regel in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig und betroffene Auftraggeber müssen, nach § 28a Abs. 1 SGB IV, die für den gesamten Zeitraum der Beschäftigung angefallenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Dies umfasst nicht nur den Arbeitgeberanteil, der bei korrekter Einordnung ohnehin zu zahlen wäre, sondern auch den Arbeitnehmeranteil. Und genau hier liegt das Problem. Bei einer korrekten Behandlung des Verhältnisses hätten die Arbeitnehmer diese Kosten zu tragen.
Ein Beispiel: Bei einem angenommenen Honorar bzw. Gehalt von 4.000,00 Euro beträgt der Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmeranteil jeweils ungefähr 21 %. Das wären dann ca. 1.680 Euro pro Monat, die sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern zu zahlen sind. Die Arbeitnehmerzahlung erfolgt durch den Abzug vom Bruttolohn durch die Arbeitgeber. Da dieser Abzug bei einer Scheinselbstständigkeit nicht erfolgt, müssen Arbeitgeber diesen Betrag zunächst zusätzlich zum Arbeitgeberanteil zahlen. Das sind allein 1.680 Euro im Monat.
Dieser Betrag erhöht sich natürlich, wenn das Beschäftigungsverhältnis über mehrere Monate oder Jahre andauert.
Und die Nachforderung von Beiträgen kann von den Sozialversicherungsträgern bis zu vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden, bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre. Dabei reicht bereits bedingter Vorsatz aus, d. h. wenn die Beteiligten damit rechnen mussten, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis in Wirklichkeit um ein Arbeitsverhältnis handelt und sie eine Beitragspflicht zumindest für möglich hielten.
Können Auftraggeber, bzw. jetzt Arbeitgeber, Scheinselbstständige in Regress nehmen?
Nur sehr eingeschränkt. Das ist das Fatale an der nachträglichen Einstufung einer Scheinselbstständigkeit. Ein unterbliebener Abzug der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung kann nach § 28g SGB IV grundsätzlich nur bei den nächsten drei Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden und dann auch nur vom Nettolohn unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen. Dieser mögliche Abzug ist sehr begrenzt und umfasst regelmäßig nicht den Betrag, den Arbeitgeber nachzahlen müssen. Und diese Regelung bedeutet auch, dass bei einem beendeten Arbeitsverhältnis grundsätzlich kein Abzug mehr möglich ist. Arbeitgeber bleiben auf den restlichen Kosten sitzen.
Welche arbeits- und steuerrechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus?
Die scheinselbstständige Person ist arbeitsrechtlich als „echter“ Arbeitnehmer mit allen Arbeitnehmerschutzvorschriften einzustufen. Das heißt, es besteht unter anderem ein Anspruch auf regelmäßige Lohnzahlung, Mindestlohn, Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall sowie Erholungsurlaub. Darüber hinaus besteht unter Umständen ein allgemeiner oder besonderer Kündigungsschutz, so dass Arbeitgeber dieses Arbeitsverhältnis unter Umständen nicht so einfach beenden können.
Die steuerrechtlichen Folgen sind in der Regel überschaubar. Zwar haften Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 EStG für die Lohnsteuer, die eigentlich vom Bruttolohn einzubehalten und abzuführen sind. Allerdings haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei dieser Steuer als Gesamtschuldner und das Finanzamt kann sich nur dann an die Arbeitgeber halten, wenn bei Arbeitnehmern nichts mehr zu holen ist. Auch die Umsatzsteuer spielt bei scheinselbstständigen Honorarärzten in der Regel keine Rolle, da in der Regel von einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14a UStG auszugehen ist.
Und mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen müssen die Beteiligten rechnen?
Bei einer rückwirkenden Einstufung drohen Arbeitgebern sogar strafrechtliche Konsequenzen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB. Erfreulich ist, dass nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.09.2019 (1 StR 346/18) strenge Anforderungen an den für eine Strafbarkeit erforderlichen Vorsatz gestellt werden, so dass viele Fälle von Scheinselbstständigkeit ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben. Doch das gilt nicht immer. Im vergangenen Jahr hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 08.03.2023 (1 STR 188/22) die Verurteilung eines Rechtsanwalts zu einer hohen Geldstrafe wegen der Beschäftigung scheinselbstständiger Rechtsanwälte bestätigt.
Was empfehlen Sie für die Praxis?
Grundsätzlich ist es zu empfehlen, jede Tätigkeit freier Mitarbeiter kritisch zu hinterfragen, da die Problematik der Scheinselbstständigkeit nicht nur Honorarärzte, sondern auch andere freie Mitarbeiter, wie z. B. Reinigungskräfte, Abrechnungs- oder Verwaltungsmitarbeiter etc. betrifft.
Die strenge Linie des Bundessozialgerichts ist eindeutig und die Tätigkeit eines Honorararztes ist regelmäßig eine sozialversicherungsrechtlich abhängige Beschäftigung mit allen dargestellten Konsequenzen. Insbesondere in der ambulanten Praxis ist eine „echte“ selbstständige Tätigkeit von Ärzten nicht oder nicht mehr rechtssicher gestaltbar und gehört damit der Vergangenheit an.
Bestehende Auftragsverhältnisse in dieser oder ähnlicher Konstellation sollten von jeweiligen Auftraggebern schnellstmöglich beendet oder als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis fortgeführt werden, um zumindest das finanzielle Risiko für die Zukunft zu minimieren.
Neue Beschäftigungsverhältnisse mit Ärzten, die bisher vermutlich als Honorarärzte beschäftigt worden wären, sollten befristet im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung angestellt werden. In Zweifelsfällen sollte zur verbindlichen Klärung ein sog. Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden.
Im Interview:
Unser Partner im Verbund der meditaxa Group e. V., Dr. Thomas Rothammer,
Rechtsanwalt und Steuerberater, Kanzlei drpa, Regensburg
meditaxa Redaktion