Als „Gesellschafter“ einer Gemeinschaftspraxis selbstständig

05.09.2025

Regelmäßig müssen sich die Sozialgerichte mit dem Thema beschäftigen, wann Ärzte und Physiotherapeuten als selbstständig oder sozialversicherungspflichtig gelten.


Denn ein Gesellschaftsvertrag mit einer Praxis bedeute nicht automatisch Selbstständigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. 

Eine Physiopraxis, in der drei Therapeuten ohne eigene Zulassung, eigenen Patientenstamm und ohne unternehmerisches Risiko beschäftigt waren, scheiterte mit ihrer Klage. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein sah die drei Therapeuten als abhängig beschäftigt an. 

Die physiotherapeutische Gemeinschaftspraxis in der Form einer GbR, bestehend aus zwei zugelassenen Physiotherapeuten, klagte gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV). Diese hatte im Rahmen einer Betriebsprüfung drei weitere in der Praxis arbeitende Physiotherapeuten als abhängig beschäftigt eingestuft. Im gelebten Gesellschaftervertrag brachte die Klägerin ‒ ohne Eigentumsübertragung ‒ eine voll eingerichtete Praxis für Physiotherapie mit dem Patientenstamm zur Gebrauchsüberlassung durch die Gesellschaft ein. Sie stellte eingeschränkt ihre Arbeitskraft zur Verfügung und verpflichtete sich, die Praxis stets in einem gebrauchsfähigen Zustand und mit einer sachlichen und personellen Ausstattung zu erhalten und zu versehen, wie sie dem typischen Bedarf der Praxis entspreche. Die anderen drei Therapeuten stellten der Praxis ihre volle Arbeitskraft, sofern vorhanden, einen eigenen Patientenstamm und Gegenstände zur Verfügung, die jeweils aufgelistet wurden. Solche Listen lagen allerdings nicht vor. Jeder Physiotherapeut war im Rahmen seiner beruflichen Behandlungs- und Therapietätigkeit gegenüber Patienten voll geschäftsführungsbefugt, während die Klägerin als GbR-Gesellschafterin alle anderen Geschäfte allein führte – z. B. Geschäfte betreffend Praxisräume, -ausstattung, -personal und -leistungen. Als Gesellschafter erhielten die Physiotherapeuten einen Gewinnanteil von 70 Prozent der Entgeltansprüche der von ihnen erbrachten Behandlungsleistungen eines Geschäftsjahres. Den Restgewinn erhielt die geschäftsführende Klägerin. Diese war nach außen alleinvertretungsbefugt, Disziplinarvorgesetzte für die Praxisangestellten der Gemeinschaftspraxis und bestimmte die Praxisstunden. Verluste der Gesellschaft trugen die Physiotherapeuten zwar gleichermaßen, die Verluste im Rahmen ihrer Beitragsverpflichtung trug die Klägerin allerdings allein. Jeder Physiotherapeut hatte eine, die Klägerin als geschäftsführender Gesellschafter hingegen fünf Stimmen. Anders als die Vorinstanz am Sozialgericht (SG) Lübeck gab das LSG der DRV Recht und stufte die drei Therapeuten als abhängig beschäftigt ein. Es entschied nach dem gelebten Gesellschaftervertrag, denn darin überwogen die Anzeichen für eine abhängige Beschäftigung:

  • Die Praxisinhaber stellten der Gesellschaft ihre komplett eingerichtete Praxis zur Verfügung und trugen das volle wirtschaftliche Risiko der Gesellschaft. 
  • Die Physiotherapeuten brachten nur ihre eigene Arbeitskraft und Kleininventar in die Praxis ein. 
  • Sie trugen im Ergebnis kein wirtschaftliches Risiko und waren nur zu 70 Prozent am Umsatz beteiligt. 
  • Sie hatten bei der Steuerung der Praxis wenig mitzubestimmen und waren in die Abrechnungsstruktur der Praxis eingegliedert. 
  • Sie behandeln nicht ihre eigenen Patienten; alle in der Praxis behandelten Patienten wurden unter einem Patientenstamm als Patienten der Praxis geführt und abgerechnet. 
  • Sie hatten keine eigene Zulassung, traten nicht eigenständig als Dienstleister am Gesundheitsmarkt auf – dies übernahm die Praxis – und keiner hatte eine eigene Betriebsstätte.

Dass die Physiotherapeuten die Behandlung der Patienten zwar in eigener Verantwortung durchführten und selbst entschieden, wie sie die Patienten behandeln, spricht aus Sicht des Gerichts nicht für ihre Selbstständigkeit. Denn alle Physiotherapeuten arbeiten auf diese Art und Weise eigenständig. Viele Arbeitgeber suchen nach Wegen, um medizinisches Personal frei und kosteneffektiv zu beschäftigen, scheitern aber oft daran, dass sich medizinische Arbeit selten so gestalten lässt, dass man sie von den Betriebsabläufen des Arbeitgebers lösen kann. Die rechtliche Einordnung in eine abhängige Beschäftigung hat weitreichende sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Folgen – insbesondere die überwiegend von Arbeitgebern allein zu tragende Pflicht zur Nachzahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Zudem haben die neu als abhängig beschäftigt Eingestuften Anspruch auf ihre Arbeitnehmerrechte, wie z. B. Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, usw.

HINWEIS
Eine abhängige Beschäftigung lässt sich umgehen, wenn Ärzte oder Physiotherapeuten nicht als vermeintlich Selbstständige eingesetzt, sondern von einer Agentur im Wege der Arbeitnehmerüberlassung gestellt oder von Arbeitgebern befristet angestellt werden. Die Anstellung kann auch in Teilzeit oder als Arbeit auf Abruf gemäß § 12 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) gestaltet werden.

meditaxa Redaktion | Quelle: SG Lübeck, Urteil vom 14.06.2021, Az. S 24 BA 38/18; LSG Schleswig-Holstein, Urteil 28.01.2025, Az. L 10 BA 10005/21)