Eine Kontrolle ohne gültige A1-Bescheinigung kann teuer werden: bis zu 10.000 Euro Verwarnungsgeld und der Zutritt zum Firmen- oder Messegelände kann versagt werden. Kontrollen finden aktuell verstärkt an Flughäfen und in Hotels statt. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig vor dem nächsten Auslandsaufenthalt mit dem Thema A1-Bescheinigung auseinanderzusetzen.
Grundsätzliches zum
A1-Verfahren
Jede Entsendung eines
Arbeitnehmers ins Ausland wir_ arbeits-, lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtliche
Fragen auf. Generell gilt: Jeder EU-Mitgliedsstaat hat sein eigenes Sozialversicherungssystem.
Theoretisch würde es bei einem Auslandsaufenthalt für eine Person, die dort
tatsächlich eine Beschäftigung ausübt, bedeuten, auch dort
Versicherungsbeiträge nach dem jeweiligen Sozialversicherungssystem des Einsatzlandes
zu zahlen. Damit nicht in mehreren Mitgliedstaaten Versicherungsbeiträge
gezahlt werden müssen, regelt als Ausnahme von diesem Prinzip § 4 SGB IV die
Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften zur Sozialversicherung bei einer
Entsendung aus Deutschland heraus.
HINWEIS
§ 5 SGB IV schließt bei
einer Entsendung eines Arbeitnehmers von einem ausländischen Unternehmen nach
Deutschland die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften aus.
Somit gelten bei einem vorübergehenden grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz innerhalb der EU jeweils die Rechtsvorschriften nur eines EU-Mitgliedsstaates. Als Nachweis, dass für Entsendungen ins Ausland die versicherungsrechtlichen Regelungen des Entsendestaates weiter gelten, wurde 2010 die A1-Bescheinigung (akkurate Bezeichnung: „Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften (A1)“) eingeführt. Eine Entsendung im Sinne der Sozialversicherung ist sowohl bei Arbeitnehmern als auch im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit möglich.
HINWEIS
Selbst wer in grenznahen Gebieten wohnt und mit dem Firmen- oder Praxisfahrzeug zum Tanken ins benachbarte EU-Land fährt, riskiert bereits eine Geldstrafe, sollte er keine gültige A1-Bescheinigung für den kurzen Aufenthalt vorweisen können.
Das A1-Verfahren
Arbeitgeber müssen vor der Entsendung
einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers die für sie oder ihn zuständige Einzugsstelle
über die Entsendung informieren. Ebenso verhält es sich mit Niedergelassenen,
die eine Dienstreise ins Ausland planen. Die jeweilige Einzugsstelle prüft bei
Entsendungen innerhalb der EU, ob die Entsendung im Sinne der Verordnung (EG)
883/2004 vorliegt und ob die deutschen Rechtsvorschriften für die Zeit der
Auslandsbeschäftigung weiterhin anzuwenden sind. Als Beleg, dass für den
Entsandten weiterhin ausschließlich das Sozialversicherungsrecht des Entsendestaates
gilt, muss eine A1-Bescheingung beantragt und als Nachweis über den in
Deutschland bestehenden Sozialversicherungsschutz des Entsandten während des
Auslandsaufenthaltes mitgeführt werden.
Bei der Beantragung und Mitführung der A1-Bescheinigung kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt nur mehrere Stunden dauert oder ob es sich um einen mehrmonatigen Arbeitseinsatz im Ausland handelt. Grundsätzlich ist also bei jedem beruflich bedingten Grenzübertritt eine A1-Bescheinigung zu beantragen und mitzuführen.
HINWEIS
Wird ein EU-Land lediglich als Transitland durchquert, ist für dieses keine A1-Bescheinigung zu beantragen.
Beispiel
Ein Arzt fährt zu einer
Tagung nach Belgien und durchfährt dabei die Niederlande, so muss er folglich
nur für Belgien eine A1-Bescheinigung beantragen und mitführen.
Achtung: Erfolgt auf dem Weg nach Belgien ein Stopp in den Niederlanden, z. B. für ein kurzes Treffen unter Kollegen, muss jeweils eine A1-Bescheinigung für beide EU-Länder beantragt und mitgeführt werden.
Entsendungen im
sozialversicherungsrechtlichen Sinn
Für das Sozialversicherungsrecht
richtet sich die Definition des Begriffs der Entsendung ausschließlich nach § 4
SGB IV – egal, ob eine Entsendung im politischen oder wirtschaftlichen Sinne
als Dienstreise, Versetzung oder Abordnung bezeichnet wird. § 4 SGB IV regelt,
dass die Vorschriften über die Versicherungspflicht in der deutschen
Sozialversicherung auch dann gelten, wenn ein Entsandter im Rahmen eines in Deutschland
bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt wird. Gleiches
gilt beispielsweise auch für Niedergelassene mit Praxissitz in Deutschland.
HINWEIS
Der Begriff Entsendung wird im Arbeits- und Steuerrecht für längerfristige mehrmonatige oder sogar mehrjährige Beschäftigungen im Ausland verwendet. Im Sinne der Sozialversicherung erfüllt bereits ein kurzer Aufenthalt im Ausland – die Teilnahme an einer Besprechung – den sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand einer Entsendung.
§ 4 SGB IV gilt für Arbeitnehmer (bspw. angestellte Ärzte) eines Unternehmens (bspw. Krankenhauses) in Deutschland wenn:
Die Entsendung im Rahmen
eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Sozialversicherung,
beispielsweise für angestellte Ärzte, setzt voraus, dass die Beschäftigung
durch ein Unternehmen (eine Arztpraxis, ein Krankenhaus, MVZ, eine Klinik,
usw.) mit Sitz in Deutschland erfolgt. Die Rechtsform des Unternehmens spielt
hierbei keine Rolle. Die Bedeutung des Begriffs „Sitz“ im Sinne der EG-Verordnung
Nr. 883/2004 wurde dahingehend definiert, dass damit der satzungsgemäße Sitz
gemeint ist, an dem die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens getroffen und
die zentrale Verwaltung vorgenommen wird.
Mit dem Begriff „Beschäftigung“
ist eine nichtselbstständige Tätigkeit nach § 7 gemeint (eine wirtschaftliche
und persönliche Abhängigkeit und eine Tätigkeit nach Weisungen und
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers).
Der nur vorübergehend im
Ausland Beschäftigte muss organisatorisch weiterhin im Betrieb in Deutschland
eingegliedert bleiben. Ein weiteres Merkmal für eine Entsendung ist, dass die
Arbeitsentgeltzahlungen weiterhin durch das Unternehmen im Inland erfolgen.
Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung wird für das weitere Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses
im Inland insbesondere vorausgesetzt, dass:
Die Voraussetzungen sind grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen.
Bei einer Prüfung ist die faktische Ausgestaltung der Weisungsverhältnisse von wesentlicher Bedeutung – bleibt der entsendende Arbeitgeber allein weisungsbefugt, ist von einer Eingliederung des Arbeitnehmers in das Unternehmen des entsendenden Arbeitgebers auszugehen. Wesentlich ist hierbei der Entgeltanspruch des Entsandten – richtet sich dieser weiterhin gegen den Arbeitgeber im Inland und trägt dieser ihn wirtschaftlich auch über die Dauer des Auslandeinsatzes – ist grundsätzlich von einem Beschäftigungsverhältnis auszugehen.
Beispiel
Eine in einer Klinik mit
Sitz in Deutschland angestellte Ärztin wird zeitlich befristet in eine
„Tochterklinik“ in der Schweiz entsandt. Der Arbeitsvertrag mit der deutschen
Klinik wird für den Zeitraum der Auslandstätigkeit ausgesetzt, die Ärztin schließt
für die Dauer des Einsatzes einen Arbeitsvertrag mit der Klinik in der Schweiz
ab. Darin ist unter anderem geregelt, dass die Ärztin den Weisungen der
Tochterklinik unterliegt und die Entgeltzahlungen von dieser auch getragen und an die Ärztin gezahlt
werden. Demnach liegt keine Entsendung vor, da ein ausgesetztes
Beschäftigungsverhältnis mit der deutschen Klinik keine ausreichende
arbeitsrechtliche Bindung darstellt, um die Anwendung der Rechtsvorschriften des
Entsendestaates zu begründen. Somit unterliegt die Ärztin den
Rechtsvorschriften, die in der Schweiz gelten.
Zeitliche Vorgaben der
Entsendung
Wird der im Voraus zeitlich
begrenzte Auslandseinsatz für eine wiederum im Voraus begrenzte Zeit
verlängert, kann weiterhin von einer Entsendung ausgegangen werden. Weitere Verlängerungen
– sogenannte Kettenentsendungen – sollten sich allerdings nicht anschließen.
Die zeitliche Begrenzung einer Entsendung sowie Angaben über die Eigenart der Beschäftigung
sind schriftlich niederzulegen.
Nach Artikel 12 Abs. 1 der EG-Verordnung Nr. 883/2004 handelt es sich auch um eine Entsendung in einen anderen EU-Mitgliedsstaat, nach Island, Norwegen, Liechtenstein oder in die Schweiz, wenn die Dauer des Aufenthalts die Höchstgrenze von 24 Monaten nicht übersteigt. Ist von vornherein abzusehen, dass der Einsatz im Ausland länger dauern wird, liegt der Tatbestand einer Entsendung nicht vor. Selbst eine kurzzeitige Aussetzung der Tätigkeit während des Entsendezeitraums – aufgrund von Krankheit, Urlaub, usw. – stellt keine Unterbrechung dar, die eine Verlängerung der Entsendung rechtfertigt. Der Zeitraum der Entsendung beginnt und endet genau zum beantragten Termin.
HINWEIS
Ausnahmeregelungen für Einzelfälle, bei denen die Entsendung die Höchstdauer von 24 Monaten übersteigt, können unter gewissen Umständen vereinbart werden, sofern sich während des Entsendezeitraumes eine Verlängerung des Aufenthalts abzeichnet. Hierzu wendet sich der Arbeitgeber oder der eingebundene steuerliche Berater an die DVKA, um eine Einzelfallprüfung einzuleiten. Stimmen in der Einzelfallprüfung die beiden betroffenen Mitgliedstaaten der Ausnahmenregelung zu, gelten für den Entsandten auch ab dem 25. Monat weiterhin die Rechtsvorschriften des Entsendestaates. Ist dies nicht der Fall, unterliegt der Entsandte mit Ablauf der 24 Monate-Frist dem ausländischen Sozialversicherungsrecht
Durch die EG-Verordnung Nr.
883/2004 werden, sofern die Regelungen eine Zuordnung zum deutschen Recht
vorsehen und sich der Versicherungsschutz des Arbeitnehmers oder des
Selbstständigen während seines Einsatzes im EU-Raum weiterhin nach den
deutschen Rechtsvorschriften richtet, folgende Versicherungsbereiche abgedeckt:
Leistungen bei Krankheiten
(Pflegebedürftigkeit, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall), Mutterschaft,
Invalidität, Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Arbeitslosigkeit sowie an Hinterbliebene
im Falle des Ablebens des Entsandten. Sterbegeld, Vorruhestandsleistungen und
Familienleistungen werden ebenfalls mit der Verordnung Nr. 883/2004 abgedeckt.
Beantragung einer
A1-Bescheinigung
Für die Beantragung und Ausstellung
von A1-Bescheinigungen sind in Deutschland folgende Stellen zuständig:
Besonderheiten beachten
Für in Deutschland beschäftigte
Arbeitnehmer, die regelmäßig eine gewöhnliche Erwerbstätigkeit in mehreren
Mitgliedsstaaten ausüben – ein Beschäftigungstag im Monat oder fünf Beschäftigungstage
im Quartal – ist die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland
(DVKA) in Bonn für die Feststellung des anwendbaren Rechts zuständig. Anders
als bei der Entsendung erfordert bei der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit in
mehreren Mitgliedsstaaten nicht jeder Auslandseinsatz eine eigene
A1-Bescheinigung.
Für die Beantragung bei der
jeweils zuständigen Antragsstelle ist von einer Bearbeitungszeit von mindestens
drei Arbeitstagen auszugehen. Es empfiehlt sich also, die Bescheinigung so frühzeitig
wie möglich vor der geplanten Entsendung zu beantragen. Auch Ihr Steuerberater
kann das Antragsverfahren bei der jeweiligen Stelle einleiten.
Für Unternehmen, die einen
Arbeitnehmer nur kurzzeitig zu einem Auslandseinsatz entsenden müssen, beispielsweise
zu einer mehrstündigen Besprechung, bedeutet in dem Fall die Beantragung einer
A1-Bescheingung in Relation zum Arbeitseinsatz einen enormen bürokratischen
Aufwand. Mit einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
wurde darauf hingewiesen, dass nach geltendem Recht nicht in jedem Fall einer kurzfristigen
oder kurzzeitigen Tätigkeit im Ausland eine A1-Bescheinigung zwingend erforderlich
sei und ein Ermessen der Mitgliedsstaaten besteht.
Bei Arbeitseinsätzen in
Frankreich und Österreich ist jedoch eine Beantragung der A1-Bescheinigung
aufgrund der strengen nationalen Vorschriften und den Strafen bei
Nichtmitführung einer A1-Bescheinigung zwingend notwendig. Allerdings sehen
beide Länder von einer Geldstrafe im Falle einer Prüfung ab, sofern nachgewiesen
werden kann, dass die entsprechende A1-Bescheinigung vor der Entsendung vom Arbeitgeber
beantragt wurde.
Das elektronische
A1-Verfahren
Seit dem 01.01.2019 ist für
das Antrags- und Bescheinigungsverfahren das elektronische A1-Verfahren verpflichtend.
Anträge auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung müssen auf elektronischem Weg
durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragungswege an die jeweils
zuständige Stelle übermittelt werden. Die Anträge auf Ausstellung kann sowohl vom
Arbeitgeber als auch vom Steuerberater übernommen werden.
Für das elektronische
Antrags- und Bescheinigungsverfahren A1 haben der GKV-Spitzenverband und die
Deutsche Rentenversicherung die Anforderungen für den Übertragungsweg, die
zuständigen Stellen in Deutschland, die verschiedenen Nachrichtentypen, die
Annahmestellen sowie die gestaffelte Umsetzung des Verfahrens in den
„Gemeinsamen Grundsätzen für das elektronische Antrags- und
Bescheinigungsverfahren A1 nach § 106 SGB IV“ genauer ausgeführt.
Die elektronisch erteilte
A1-Bescheinigung ist – bei Beschäftigten – vom Arbeitgeber unverzüglich dem
Arbeitnehmer auszuhändigen. Bei beruflichen Tätigkeiten im Ausland ist die
erteilte A1-Bescheinigung jederzeit mitzuführen. Eine schriftliche
Antragsbestätigung über den Eingang der elektronisch beantragten A1-Bescheinigung
ist voraussichtlich für Januar 2020 geplant. Nach Eingang des Antrags erhält
entweder der Arbeitgeber oder der Steuerberater einen schriftlichen Ausdruck
der Bestätigung nach Antragsstellung, die dem Arbeitnehmer auch bei sehr kurzfristig
geplanten Dienstreisen mitgegeben werden kann.
Fazit: Generell gilt, ob Niedergelassene oder angestellte Ärzte, bei einem beruflich bedingten Auslandsaufenthalt im EU-Raum, und sei er noch so kurz, ist eine A1-Bescheinigung notwendig. Da es sich hierbei um ein sehr komplexes Thema handelt, steht Ihnen Ihr Steuerberater bei allen Fragen zum A1-Verfahren gerne zur Seite, damit der nächste geschäftliche Auslandsaufenthalt am Ende kein teures Vergnügen wird.
ÜBERSICHT
Für folgende EU/EWR-Mitgliedsstaaten gilt die EG-Verordnung Nr. 883/2004 über soziale Sicherheit innerhalb der EU:
EU-Mitgliedsstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien*, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und der griechische Teil von Zypern.
EWR-Mitgliedsstaaten: Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz
* Bezüglich des bevorstehenden Brexit von Großbritannien stehen aktuell keine sicheren Informationen über zukünftige sozialversicherungsrechtliche Regelungen zur Verfügung. Bisher wurde noch kein Abkommen für das Rechtsverhältnis zwischen der EU und Großbritannien für die Zeit nach dem Brexit getroffen. Ihr Steuerberater hält Sie diesbezüglich gerne auf dem Laufenden.
Meditaxa Redaktion