16. Aug 2021
„Online-Präsenz“ – ein Begriff, der auch für Ärzte immer wichtiger wird. Dabei spielt nicht nur die Praxis-Homepage eine wichtige Rolle, die im Zuge der Digitalisierung immer einen „Mehrwert“ mehr für Patienten haben sollte als die der Kollegen. Auch das „Marketing“ oder die Positionierung der eigenen Person als Ärztin oder Arzt wird zunehmend wichtiger: viele Follower auf Instagram, Online-Angebote in Gruppen auf facebook – manche Ärzte gehen sogar so weit und präsentieren OP-Videos auf der eigenen Praxis-Homepage.
Die Intention dabei ist oft einfach: Der steigende Bekanntheitsgrad soll das Image verbessern. Es gibt niederschwellige Angebote, um (potenzielle) Patienten und Klienten leichter zu erreichen. Bei manchen Personen geht es auch schlichtweg ums Ego, denn schließlich spielt auf sozialen Netzwerken das gezielte Präsentieren und Inszenieren eine wichtige Rolle, um ein gewisses „Standing“ in der Gesellschaft zu erreichen. Es gibt Gründe, auch viele gute, die für ein Agieren im Netz sprechen. Es gibt allerdings genügend Gründe, die dagegen sprechen: Die aktuelle Studie der Northwestern University Feinberg School of Medicine (Chicago), an der 464 US-amerikanische Ärzte teilnahmen, wirft mit zwei Fragen ein Schlaglicht auf die zunehmende Bedrohung von Ärzten im Internet: „Sind Sie in den sozialen Medien jemals persönlich angegriffen worden?“ und „Sind Sie in den sozialen Medien jemals sexuell belästigt worden?“. Ergänzend zu den Fragen gab es ein Freitextfeld für konkrete Erlebnisse. 23,3 Prozent der Befragten gaben an, bereits Online-Attacken erlebt zu haben. Darunter gab es Morddrohungen, Beschimpfungen in Bezug auf Religion und Ethnie der Ärzte, oder deren Engagement für Schwangerschaftsabbrüche. Vier Ärzte gaben an, Opfer von Stalkern gewesen zu sein. Auch persönliche Daten der Mediziner wurden im Netz veröffentlicht. 16,4 Prozent der Ärztinnen wurden häufig über das Internet sexuell belästigt – zwölf berichteten von anzüglichen Nachrichten, Zusendung von pornografischem Material und zwei Ärztinnen erhielten sogar Vergewaltigungsandrohungen.
Foto: © catherina schurmann / unsplash.com
Wenn ein Instrument der Kommunikation zum Albtraumkanal wird
Diese zunehmende Bedrohung der Akteure im Gesundheitswesen kann eine regelrechte Negativ-Welle erzeugen: Sehen sich Ärzte mit solchen Angriffen aus dem Netz oder Drohnachrichten länger konfrontiert, nehmen Stress- und Angstgefühle zu. Diese wirken sich auf die persönliche Leistungsfähigkeit aus. Es passieren Fehler – bei Patienten kann das im schlimmsten Fall in einer Katastrophe enden. Aber auch Kollegen und das Praxisteam bleiben von der Belastung, die durch Angst und wachsendes Misstrauen verstärkt wird, nicht unberührt. Am Ende stehen Betroffene vielleicht sogar vor einer Kündigung oder der Praxisaufgabe – wegen eines Fotos im Netz, eines Statements in einem sozialen Netzwerk oder schlichtweg wegen des Portfolios auf der Praxis-Homepage.
Gegen die Ergebnisse der oben genannten Studie sieht eine 1-Sterne-Bewertung, beispielsweise bei Google, auf den ersten Blick wie ein Kinderstreich aus. Aber selbst solche (anonymen) Bewertungen, die teilweise auch ohne aufgeschlüsselte Bewertungskriterien abgegeben werden, können Ärzten erheblich schaden. Denn schließlich kann eine solche Negativ-Bewertung von angesprochenen Nutzerkreisen – von (möglichen) Patienten – als Gesamtbeurteilung verstanden werden, in die grundsätzlich beliebige Kriterien einfließen können. Überwiegend wird aber erwartet, dass eines dieser Kriterien die fachliche Leistung betrifft, wenn sich aus einem erklärenden Kommentar nicht etwas anderes ergibt, wie zum Beispiel eine gescheiterte Terminvergabe oder die Freundlichkeit des Praxisteams. Denn auch wenn eine 1-Sterne-Bewertung an sich nicht viel Aussagekraft besitzt, kann sie dazu führen, dass potenzielle Patienten eben nicht die betroffenen Ärzte/Praxen aufsuchen. Verhält es sich mit jedem zweiten potenziellen Patienten so, ist der wirtschaftliche Schaden vorprogrammiert. Aber auch hier kann das Image leiden – Kollegen könnten die Bewertung „belächeln“ und die Stimmung beim eigenen Team kann ins Negative kippen. Und das „nur“ wegen eines Sterns.
Die Bedrohung erkennen und richtig einordnen
Eine Bedrohung ist die Androhung der Begehung eines Verbrechens gegenüber einer anderen Person oder einer ihr oder ihm nahestehenden Person (auch Mitarbeiter). Beispiel: „Das nächste Mal hau‘ ich deiner Empfangstussi dafür aufs Maul.“
Unter Nötigung durch Drohungen versteht man die Androhung von Gewalt, um eine Handlung oder eine Unterlassung einer Handlung zu erzwingen: „Bekommt XY weiterhin einen Termin bei dir, knöpfe ich mir dich vor, wenn du verstehst, was ich meine?“.
Die Nachstellung stellt den Datenmissbrauch einer anderen Person dar, wenn diese Daten dazu verwendet werden, im Namen der Person Waren oder Dienstleistungen zu bestellen. Auch jemand anderen dazu zu veranlassen, mit einer anderen Person ständig in Kontakt zu treten, mit dem Ziel, die Lebensgestaltung der betroffenen Person schwer zu beeinträchtigen, fällt unter Nachstellung.
Andere Beispiele: „Krankes Schwein“ – Beleidigung; „Kurpfuscher“ – üble Nachrede; „Der scheffelt einen Haufen Kohle durch Abrechnungsbetrug“ – Verleumdung.
Bei Aussagen wie „Verdammte Dreckspraxis“ oder „Dieser Arzt ist echt das Letzte“, fühlt man sich erst mal hilflos. Dennoch sollten betroffene Ärzte nicht gleich den Kopf in den Sand stecken – Beleidigungen und Bedrohungen sollten, wenn möglich, nüchtern betrachtet werden, um die Aussagen richtig einordnen zu können. Dann erst sollte man seine persönlichen Konsequenzen ziehen. Wer in Panik gerät, reagiert genau so, wie sich die „Täter“ das gewünscht haben. Denn selbst wenn sich eine Person bei beleidigenden Aussagen oder gar Drohungen auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit stützt – auch die Meinungsfreiheit hat, trotz eines gewissen Spielraums, ihre Grenzen und diese beginnen spätestens bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes eines anderen.
Wie man sich Hilfe sucht
Bei 1-Sterne-Bewertungen ohne Aufschlüsselung der Kriterien können Ärzte eine Beanstandung gegenüber dem Host-Provider – auch ausschließlich – darauf stützen, dass die Bewertung unzulässig sei, weil ihr kein fachlicher, bzw. ärztlicher Kontakt zugrunde liege, wenn keine weiteren Erkenntnisse über den Urheber der Bewertung und deren Kontext vorliegen – insbesondere wenn die Bewertung pseudonym und kommentarlos abgegeben wurde. Betroffene müssen sich insbesondere nicht – für den Host-Provider erkennbar spekulativ – auch dazu äußern, ob sich die Bewertung ausschließlich auf einen sonstigen, rein organisatorischen Kontakt beziehen könnte.
Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung (durch Bedrohungen) sowie Nachstellen und üble Nachrede bzw. Verleumdung sind Straftaten und Persönlichkeitsrechtsverletzungen, für deren Bearbeitung die Polizei zuständig ist. Wer bedroht oder belästigt wird, sollte:
Bei Strafanzeigen gegen Online-Angriffe sollte man, wenn möglich, eine Polizeidienststelle in einem Ballungszentrum aufsuchen. In den meisten Fällen haben die Polizeibeamten in größeren Revieren viel häufiger mit Online-Delikten zu tun als die Kollegen in Vororten bzw. kleineren Städten.
Fazit: Der Umgang mit dem Internet, seinen Plattformen und Netzwerken hält nicht nur Möglichkeiten einer schnellen und niedrigschwelligen Kommunikation bereit, die Angriffsfläche durch die Positionierung der eigenen Person im Internet wächst immens. Dessen sollte man sich stets bewusst sein. Auch die digitale Kommunikation vereinfacht Gewaltprozesse durch die offensichtliche Anonymität. Man sollte sich – nach dem ersten Schreck – aber nicht einschüchtern lassen. Betroffene sollten sich unbedingt Unterstützung suchen, Zeugen einbeziehen, einen Anwalt einschalten und zur Polizei gehen. Auch wenn die Bedrohung über das Internet riesig und sogar außerhalb der digitalen Welt auf Betroffene zu lauern scheint, geht es am Ende nur um eine natürliche Person an einem Computer, gegen die man sich in der Tat wehren kann und wehren sollte.
meditaxa Redaktion