Einzelkämpfer oder Teamplayer? Nicht nur Berufseinsteiger jeder Branche beschäftigen sich mit dieser Frage – auch in der Gestaltung der ärztlichen Versorgung werden Kooperationsformen immer attraktiver, vor allem aufgrund des vielseitigen Leistungsspektrums, das Patienten fachübergreifend und flächendeckend angeboten werden kann.
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Dabei stellt sich die Frage: Ist die Einzelpraxis nur noch schick, oder ist die Wahl ihrer Rechtsform weiterhin begründet? meditaxa-Mitglied Rico Sommer, Inhaber und Partner der Steuerberatungskanzlei Tennert Sommer & Partner, beleuchtet exklusiv im Interview ärztliche Kooperationsformen und deren Gestaltungsspielräume.
58 Prozent aller Praxen in Deutschland sind derzeit als Einzelpraxis organisiert. Die KVen und die Politik diskutieren seit Jahren über die „Einzelpraxis“ als Auslaufmodell.
Ist was dran an der Diskussion?
Sommer: Teilweise ja. Eine Einzelpraxis ist mit finanziellen Aufwendungen verbunden, die allein von Praxisinhabern getragen werden müssen, ohne Risikoverteilung. Einen Nachwuchsarzt, der eine eigene Praxis anstrebt, erwarten folgende Kosten: Miete oder Kauf der Praxisräume, medizinisches Inventar, Personal, technische Ausstattung, usw. Das kann, wenn man die Entwicklung der medizinischen Versorgung in der Zukunft betrachtet, ein ernstzunehmendes Problem für die „schicke“ Einzelpraxis werden. Der Abwärtstrend kann sich zusätzlich durch die Problematik der Praxisnachfolge verstärken – Einzelpraxen „sterben aus“, weil u. a. aufgrund der genannten Kriterien keine (jungen) Nachfolger gefunden werden können. Dennoch hat es Vorzüge, eine Praxis alleine zu betreiben: Ärzte als Freiberufler können recht unbürokratisch gründen und mit ihrer Tätigkeit praktisch sofort loslegen, da es keine Gesellschaftsstrukturen und keine Gewinnverteilungsprobleme gibt. Außerdem kann man die eigene Praxis nach seinen eigenen Vorstellungen leiten. Das ist in vielerlei Hinsicht ein Vorteil. Abgesehen davon schrecken einige vor der gesamtschuldnerischen Haftung in einer Gemeinschaft zurück, die ja auch das Privatvermögen betreffen kann.
Welche „zukunftsweisenden“ Alternativen zur Einzelpraxis gibt es für Ärzte, die eine Niederlassung anstreben?
Sommer: Die Alternativen sind medizinische Versorgungszentren (MVZ), Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und Praxisgemeinschaften. Diese sind heutzutage meist entweder in Partnerschaftsgesellschaften (PartG) oder in Form einer GmbH organisiert. Bei diesen ärztlichen Kooperationen bedarf es immer mindestens zweier Ärzte, natürlicher Personen, die sich zusammentun.
Wie unterscheiden sich die jeweiligen Kooperationsformen voneinander?
Sommer: Bei einer Praxisgemeinschaft zum Beispiel erfolgt die Berufsausübung getrennt voneinander, jeder Arzt arbeitet eigenständig, auch wirtschaftlich – jeder hat seinen eigenen Patientenstamm, führt eigene Patientenakten und rechnet seine Leistung separat mit den KVen ab. Der Vorteil: Die Teilung
von Kosten. Praxisräume, medizinische und technische Geräte sowie Personalkosten sollten vertraglich geregelt sein und werden unter den Praxisinhabern aufgeteilt. Dabei muss unbedingt darauf geachtet werden, dass auch Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen vertraglich festgehalten werden. Ein weiterer Vorteil ist die Urlaubsvertretung, bei Ärzten gleicher Fachrichtung. Die Zusammenarbeit der Ärzte erfolgt gesellschaftsrechtlich als GbR. Die Praxisgemeinschaft muss zwar der KV angezeigt werden, ist aber nicht genehmigungspflichtig durch den Zulassungsausschuss.
Was ist der Unterschied zwischen einer Praxisgemeinschaft und einer BAG?
Sommer: Unabhängig von der Rechtsform – entweder schließt man sich als GbR oder als Partnerschaftsgesellschaft (PartG) zusammen – müssen die Gesellschafter bei einer BAG einen Gesellschaftervertrag abschließen, der den Gesellschaftszweck definiert und von einer zeitlich angelegten systematischen Kooperation, getragen vom Willen der gemeinsamen Berufsausübung, handelt. Man tritt gemeinsam auf – mit einem Patientenstamm, einer Abrechnung und Dokumentation der erbrachten Leistung, einer Haftung der Gemeinschaft im Außenverhältnis, einer Risiko- und Chancenverteilung und natürlich auch einer Außendarstellung der Gesellschaft, beispielsweise über das Praxisschild. Das Einzige, was die BAG und die Praxisgemeinschaft verbindet, ist die Kostenteilung bei Räumlichkeiten, Inventar und Geräten sowie beim Personal. Bei der BAG werden u. a. gemeinschaftliche wirtschaftliche Ziele verfolgt, was bei der Praxisgemeinschaft nicht der Fall ist. Des Weiteren können über die sogenannten Kooperationszuschläge höhere KV-Honorare erzielt werden.
Kann man sich unter einem MVZ einen Zusammenschluss vorstellen, der einfach „größer“ ist als bei einer BAG oder einer Praxisgemeinschaft?
Sommer: Die rechtliche und praktische Gestaltung eines MVZ ist wesentlich komplexer. Damit ein MVZ überhaupt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen kann, braucht es eine Zulassung, über die auf Antrag der Zulassungsausschuss der jeweiligen KV entscheidet. Die Voraussetzungen für die Zulassung sind u. a. die Gründung durch einen Leistungserbringer oder eine Kommune gemäß § 95 Abs. 1a SGB V und der Wahl einer zulässigen Rechtsform, beispielsweise einer PartG oder einer GmbH. Es müssen mindestens zwei Vertragsarztsitze bzw. zwei halbe Vertragsarztsitze vorhanden sein. Firmiert ein MVZ in Form einer GmbH, kommen weitere, bzw. andere Regelungen und Aufwendungen dazu: Die Einlage des Stammkapitals i. H. v. 25.000 Euro, eine Geschäftsführung und eine ärztliche Leitung müssen vertraglich bestimmt werden, wobei die ärztliche Leitung zwangsläufig im MVZ tätig sein muss. Ein wesentlicher Vorteil ist die einfachere Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen. Aufwendig sind dagegen die Buchführungsstandards nach dem HGB: doppelte Buchführung und Aufstellung einer Jahresbilanz sind verpflichtend. Ein wesentlicher Vorteil eines MVZ ist natürlich die patientenorientierte Versorgung aus einer Hand.
Welche Kriterien könnten verantwortlich sein für den Trend hin zu ärztlichen Zusammenschlüssen?
Sommer: Da gibt es einige, abgesehen vom unternehmerischen Risiko, das nicht allein getragen werden muss. Ein klassisches Beispiel: Eine Ärztin mit Kinderwunsch ist in einer BAG mit Ärzten aus der gleichen Fachrichtung tätig. Während des Mutterschutzes und ggf. der Elternzeit können die Kooperationspartner die Versorgung der Patienten problemlos übernehmen. Gleiches gilt für Urlaubstage, in denen die Einzelpraxis geschlossen werden müsste. Ärzte, die sich mit der Ruhestandsplanung beschäftigen, können diese in einer BAG oder einem MVZ „entspannter“ angehen. Gerade in Hinblick auf eine eigene
Praxisimmobilie, die mit dem Eintritt des Ruhestands vermietet oder verkauft werden müsste, ist das eine immense Erleichterung, sich darüber keine Gedanken machen zu müssen.
Darüber hinaus spielt natürlich auch die Patientenversorgung eine große Rolle. Niedergelassene mit einer eigenen Praxis erfreuen sich meist eines größeren Patientenvertrauens, da der Patientenkontakt laut Studien als persönlicher empfunden wird. Allerdings ist es für Patienten auch immer wichtiger, ein gewisses Versorgungsangebot vorzufinden. Ein MVZ mit guter Verkehrsanbindung und Parkmöglichkeiten kann Patienten mit einem Besuch an einem Standort verschiedene fachübergreifende Leistungen anbieten. Ein Versorgungskomfort, den man Patienten bieten will – natürlich auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen, denn man kann die Leistung im eigenen Haus erbringen. Das trifft auch auf Gemeinschaftspraxen zu, denn je nach Zusammenschluss der Fachrichtungen besteht eine höhere Chance, das Geld im Haus zu behalten – um es mal sehr vereinfacht und direkt zu sagen. Auch teure Investitionen – z. B. in ein digitales Röntgengerät – lohnen sich für die Einzelpraxis nicht mehr unbedingt, können bei einer Kooperation aber wieder betriebswirtschaftlich sinnvoll sein und den Gewinn steigern.
Was würden Sie Unentschlossenen empfehlen: Die „schicke“ Einzelpraxis oder die „aufstrebende“ ärztliche Kooperationsform?
Sommer: Pauschal kann man das nicht beantworten. Einzelpraxen wird es vermutlich immer geben, da sie recht unkompliziert zu gründen sind und auch in der Führung sehr viel Freiraum bieten. Ausschlaggebend für die Wahl der Niederlassung – allein oder in Kooperation – sind persönliche Ziele,
das Kapital und die Risikobereitschaft. Man muss nicht davon ausgehen, dass eine Einzelpraxis auf ewig eine Einzelpraxis bleiben muss – zukünftige Kooperationen sind nicht zwangsläufig mit dem Start als Einzelakteur ausgeschlossen. Eine ärztliche Partnerschaft sollte unbedingt im Vorfeld gut geplant und durchdacht sein, weshalb es auch wichtig ist, seine Steuerberater und ggf. Rechtsanwälte mit ins Boot zu holen. Um auf den Abwärtstrend abschließend einzugehen – man darf in Bezug auf die Einzelpraxis nicht vergessen: Ist diese gut geführt, ist die Inhaberin oder der Inhaber ausschlaggebend für den Patientenbesuch und begünstigt der Standort einen hohen Patientenzufluss, sollte man den finanziellen und immateriellen Wert einer „schicken“ Einzelpraxis nicht unterschätzen.
Rico Sommer
Mitglied der meditaxa Group e. V.
Inhaber und Partner der Kanzlei Tennert · Sommer & Partner,
Diplom-Kaufmann und Steuerberater
Quelle: meditaxa Redaktion